Die Rüstungsindustrie hat in Kaufbeuren, aber auch im übrigen oberen Allgäu sehr wahrscheinlich eine lange, ununterbrochene Tradition. Die vorzüglichen keltischen Eisenschmiede, die schon im Altertum für ihre scharfen, harten Stahlschwerter und anderes Hieb- und Stichwerkzeug berühmt waren, hatten ihren alemannischen Ur-Ur-Ur...-enkeln mit Sicherheit einen komfortablen technologischen Vorsprung beim Anfertigen der verschiedensten Stahlwaren hinterlassen. Die gemäßigten Temperaturen im Alpenvorland boten den rußigen Meistern zudem ein günstigeres Klima für ihr schweißtreibendes Handwerk als die glühende Sonne über Damaskus.
Die Erfindung der wasserbetriebenen Hammerschmiede im oder vor dem 15. Jahrhundert verschaffte dann den Allgäuer Waffenherstellern einen weiteren technologischen und damit wirtschaftlichen Vorteil. Eine der ältesten Hammerschmieden Europas ist in Schwabsoien, erstmals urkundlich erwähnt 1415 in Akten des Klosters St. Mang, wo die Abgabepflicht der Schmiede (6 Zentner Stahl- und Eisenwaren pro Jahr) festgehalten ist. Wenn die Schmiede aber zu diesem Zeitpunkt dem 50 km entfernten Kloster abgabepflichtig war, muß sie ein eingeführter Betrieb mit Gewinngarantie gewesen sein, jedenfalls aber nicht erst zum urkundlich festgehaltenen Zeitpunkt errichtet, sondern deutlich älter. Das schließt natürlich nicht aus, daß diese oder andere Hammerschmieden schon längere Zeit vorher in Betrieb waren! Nota Bene: Eine noch heute betriebene Hammerschmiede ist in Wertach zu besichtigen (etwa 400 Jahre alt).
Die Kaufbeuren-Besuche des Kaisers Maximilian I. gegen Ende des 15. Jahrhunderts fallen in diesen Zeitraum, während dessen die Allgäuer Rüstungsbetriebe hochwertige Stahlwaren - die den Toledaner Rüstungen nur wenig nachstanden - zu einem konkurrenzlos niedrigen Preis herstellen konnten. Aber auch andere Rüstungsgüter konnte man im Allgäu kaufen. Hosen für die Landsknechte, "nicht aus zwilchenem Tuch...", Zaumzeug, Musketen samt Zubehör und andere Kleinigkeiten gab das Allgäu (gegen Bares) gerne her. Die Erzgruben der Alpen lieferten dazu das Eisen, die Wälder Oberbayerns die Holzkohle, die Felder den Flachs für Soldatenwämser, und das braune Allgäuer Rindvieh Leder für Zaumzeug, Koppel und Stiefel.
Maximilian, der wie viele deutsche Kaiser ständig in Geldnöten war, konnte sein Heer in Kaufbeuren wohlfeil ausstatten. Als Gegenleistung für eingeräumte Rabatte fiel vermutlich so manches Privileg (Münz- und Marktrechte, Gerichtsbarkeit, ...) ab. Die Erhebung Kaufbeurens zur freien Reichsstadt im Jahre 1286 legt mir (das ist jetzt vielleicht etwas abenteuerlich) die Vermutung nahe, daß die Hammerschmieden schon im 13. Jahrhundert erfunden wurden, und daß Maximilian nicht der erste, wenngleich der prominenteste Kunde war.
In der Schule und anderswo wird allerdings die Mär kolportiert, daß Maximilian sein guldig's Kaufbeure nur deshalb so gern besuchte, weil es halt so ein nettes Städtchen war... Schämt man sich vielleicht seiner einträglichen Tradition, oder ist es nur einfach vergessen worden?
Auch heute lebt in Kaufbeuren die Tradition der Kriegszeughersteller im Rahmen der ansässigen (nicht nur) feinmechanischen Industrie: Triebel (Spezialwerkzeuge für Büchsenmacher); die Fahrzeugbaufirma Rhein-Bayern kam ins Gerede, weil sie u.a. sandfarben gespritzte Sonderfahrzeuge (LKWs mit mobilen toxikologischen Labors) an den Irak geliefert hatten. Übrigens sind solche mobilen Labors wohl eher zu defensiven Zwecken geeignet denn als Massenvernichtungsmittel. Doch dies nur am Rande.
Auf einer ca. 180 Jahre alten Katasterkarte von Kaufbeuren-Hart war an der Stelle, wo später der Rehgrund in die Hüttenstraße einmündete, eine Pulvermühle eingezeichnet. Eine Suche ergab zwar keine sichtbaren Gebäude oder -überreste an der eingezeichneten Stelle, aber in unmittelbarer Nähe mindestens zwei Bauten der ehemaligen Munitionsfabrik Kaufbeuren-Hart, nämlich das Linke-Haus (Abnahmestelle der Schießstätte) am damaligen Endpunkt der Hüttenstraße, und das Asozialenheim (Betriebsgebäude der Schießstätte) an der Ecke Rehgrund/Hüttenstraße. Das Linke-Haus existiert heute noch in umgebautem Zustand.
Ach ja, die wunderbare Errettung der Stadt Kaufbeuren vor den alliierten Bombenangriffen... Ohne die Verdienste der mittlerweile als Heilige Creszentia bekannten Anna Höß in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, habe ich dafür eine weit profanere Erklärung. Das wichtigste Angriffsziel Kaufbeurens dürfte die Munitionsfabrik gewesen sein. Auf den von der Wehrmacht verwendeten Munitionen war die Herkunft in Form eines verschlüsselten Stempels angegeben, und die Nachrichtendienste der Alliierten konnten die Bedeutung der Munitionsfabrik leicht an der Häufigkeit ablesen, mit der z.B. die Punze "kfb" auf leeren Patronenhülsen und dergleichen auftauchte. Eine Zuordnung dieser Wehrmachts-internen Kennzeichnung zu dem entsprechenden Fabrikstandort könnte ermöglicht worden sein durch Informationen, die vielleicht von KZ-Zwangsarbeitern herausgeschmuggelt wurden (reine Vermutung), und deutete auf eine große Anlage hin.
Die Bombenangriffe wurden von Luftstützpunkten in Oberitalien aus geflogen, d.h. die Flugzeuge kamen von Süden, und es wurde eine große Fabrikanlage gesucht. Kaufbeuren selbst bot aus der Luft allerdings außer der Startbahn und den Hallen des Fliegerhorstes keine auffälligen Ziele. Die Gebäude der Munitionsfabrik auf der bewaldeten nordöstlichen Hochebene waren beim Anflug von Süden her wegen ihrer Tarnung durch bepflanzte Dächer und der weiträumig verstreuten Anlage im umstehenden Wald alles andere als auffällig, sondern dürften - zumal bei ungünstigen Lichtverhältnissen - fast völlig unsichtbar gewesen sein. Beschreibungen der Fabrik durch Informanten, die dort arbeiteten oder gearbeitet hatten, trugen diesem Umstand wohl keine Rechnung, da einem die Tarnung von einem Standpunkt am Erdboden, zwischen den Gebäuden, nicht bewußt wird, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Wenn dann der Bomberverband über die Stadt hinausgeflogen war, ohne ein „lohnendes" Ziel gefunden zu haben, wurde natürlich der Anflug nicht wiederholt - das war zu riskant. Glück für das harmlose Städtchen.
Literatur: |
Hübner, Hans-Joachim: "Die Fabrik Kaufbeuren der Dynamit-AG" Zur Vorgeschichte von Neugablonz Hg. von Dr. Stefan Fischer und Günther Pietsch. Kempten 1995. Ein fundiertes und für geschichtlich wie technisch Interessierte gleichermaßen anschaulich gestaltetes Standardwerk zu Kaufbeurens jüngstem Stadtteil. (im Kaufbeurer Stadtarchiv) | |
„Neugablonz - Stadtteil der ehemals Freien Reichsstadt Kaufbeuren im Allgäu“ Entstehung und Entwicklung Herausgegeben von der Leutelt-Gesellschaft durch Susanne Rössler und Gerhart Stütz (diverse Informationen über die Munitionsfabrik)
|