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Nachtmusik

- oder warum manche Leute Juliette Gréco nicht mögen -

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  Musik... Sie erweckt nicht immer nur schöne und positive Gefühle.

  Anläß­lich mei­ner Hoch­zeit be­such­ten wir, die frisch Ver­mähl­ten, auch mei­nen Tauf­pa­ten, den On­kel Karl, der mir et­was schen­ken woll­te, das man nicht mit der Post schicken soll­te… Über ihn gä­be es ei­ne Men­ge zu sa­gen, was mei­stens nichts mit Mu­sik zu tun hat, aber bei ei­nem Glas Wein er­zähl­te er mir et­was mit Mu­sik:

  Er war im Kriegs­jahr 1944 ir­gend­wo im Rhein­land bei den Nacht­jä­gern, al­ler­dings nicht als Pi­lot, son­dern als Fun­ker bei der Ein­satz­lei­tung, und be­dien­te ne­ben der Funk­sprech­ver­bin­dung mit den Flie­gern auch das Funk­meß - die deut­sche Spiel­art des Ra­dars. Die Funk­meß­mann­schaft führ­te die blind flie­gen­den Kampf­­pilo­ten mit Sprech­funk an die her­an­flie­gen­den Bom­ber­ver­bän­de her­an. Zu der en­gen Fun­ker­bu­de hat­te wäh­rend der Ein­sät­ze au­ßer den Tech­ni­kern nie­mand Zu­tritt, und so konn­ten sie mit ei­nem zweck­ent­frem­de­ten Luft­waf­fen­emp­fän­ger den Sen­der Ca­lais hö­ren - was zwar streng ver­bo­ten war, aber da kam ei­ni­ger­ma­ßen er­träg­li­che Mu­sik.

  Nach vie­len Nacht­ein­sät­zen glaub­ten die schwarz­hö­ren­den Fun­ker ei­ne be­klem­men­de Kor­re­la­tion zu er­ken­nen: Im­mer dann, wenn die Jä­ger in den dunk­len Him­mel auf­stie­gen, gab es Chan­sons von Ju­liette Gré­co zu hö­ren. Die Pro­gramm­ge­stal­ter des Sen­ders wa­ren of­fen­sicht­lich über die Zei­ten der Bom­ben­an­grif­fe in­for­miert, und rech­ne­ten da­mit, daß das Per­so­nal der Luft­ab­wehr in die­sen schreck­li­chen Näch­ten in ih­ren Un­ter­stän­den an den Emp­fän­gern hock­te und Sol­­da­ten­sen­der hör­te…

  Und dann nä­her­te sich ei­nes Nachts ein be­son­ders gro­ßer Bom­ber­strom, die klei­nen Ma­schi­nen schwärm­ten in die Fin­ster­nis hi­naus, um die her­an­na­hen­de Be­dro­hung auf­zu­hal­ten. Als das Dröh­nen der Mo­to­ren ver­klun­gen war, senk­te sich Stil­le auf die Funk­meßbu­de, nur un­ter­bro­chen von den knap­pen An­wei­sun­gen, die der Ein­satz­lei­ter für die Pi­lo­ten ins Mi­kro­fon sprach, und man such­te den Sender Cal­ais auf der Ska­la des Luft­waf­fen­ra­di­os. Richt­ig, auch dies­mal wie­der fül­lte mit Rau­schen und Kni­stern die blut­jun­ge und trotz­dem da­mals schon al­ters­lo­se Stim­me der Gré­co den klei­nen Raum. "Par­lez-moi d'a­mour" hör­ten sie die jun­ge Frau sinn­lich und tief sin­gen, und dann muß­te On­kel Karl, er­füllt von na­men­lo­sem Grau­en, er­le­ben, wie in den we­ni­gen Mi­nu­ten, die die­ses Lied dau­ert, ei­ne Funk­meß­zacke nach der an­deren von den Os­zil­lo­gra­phen­schir­men ver­schwand - je­de Zacke war ein Jagd­flug­zeug mit ei­nem sei­ner Ka­me­­raden ge­we­sen, und in die­ser Nacht wur­de die ge­sam­te Staf­fel aus­ge­löscht.

  Onkel Karls Ge­sicht war asch­fahl, als er die­se Ge­­schichte er­zähl­te, und ob­wohl es ein war­mer, son­ni­­ger Frühlings­tag war, und zum of­fen­­­ste­henden Gar­ten­fen­ster Vo­gel­ge­zwit­scher her­eindrang, schien ein eis­kal­ter, dunkler Schat­ten auf dem Wohn­zim­mer zu la­sten. Juliette Gré­co, so be­en­de­te er sei­ne Er­zäh­lung, hat er seit je­ner Nacht nicht mehr er­tra­gen kön­nen.

  Der Rest von dem Wein in mei­nem Glas hat mir dann auch nicht mehr ge­schmeckt.


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Ich mag sie selt­sa­mer­wei­se auch nicht, ob­wohl ich kein sol­ches präg­en­des Er­leb­nis mit ihr as­so­zi­iere.
--black--red--orange--yellow--green--blue--indigo--violet--black-- Zuletzt aktualisiert: decet 7.11.2015