Die folgende Geschichte stammt aus dem Jahre 1963. Sie stand damals in einer Zeitschrift namens The Atlantic Monthly. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie ohne Genehmigung des Autors zu übersetzen. Sie erscheint mir jedoch so gut, daß ich das auf mich nehme.
William J. J. Gordon hielt damals auch in Harvard Vorlesungen in Angewandter Physik für Ingenieure, untersuchte Konzepte zur Problemlösung und war leitender Mitarbeiter einer Beraterfirma, die sich um die „Steigerung des kreativen Ausstoßes industrieller Forschungseinrichtungen“ bemühte.
Der Zug sollte um 9 Uhr Ortszeit in Portland, Oregon ankommen, deshalb ging ich pünktlich um 8 Uhr in den Speisewagen, um zu frühstücken. Ich bestellte Kaffee, Rühreier und Dörrobst. Dann sah ich zum Fenster hinaus und dachte an gestern abend. Wie hatte Dr. Hurlbet doch noch seine Forschungsabteilung genannt? Research-O-Rama? Na, er war der Chef - von mir aus konnte er es nennen, wie er wollte; aber jemand wie ich müßte da etwas sensibler sein. Niemand möchte sich von einem Experten für Materialermüdung veralbern lassen. Ich albere niemals herum. Ich habe eine Pfeife im Mund und spreche zu meinen Kunden in orakelhaftem Tonfall, damit sie das Gefühl bekommen, von Gott selbst beraten zu werden. Hurlbet ist einer der Größten in der amerikanischen Industrie-Forschungsszene, deshalb kann er sich solche Mätzchen erlauben. Aber gestern abend war er für meinen Geschmack wirklich etwas zu weit gegangen. Wenn er allerdings mit seinen Ansichten über anwendungsorientierte Forschung recht haben sollte - Mein Gott, was für ein Schlamassel! Na ja, vielleicht war er nicht mehr ganz nüchtern gewesen, und würde sich heute wie ein Idiot vorkommen. Oder er würde sich an nichts mehr erinnern. Ich hob den Ellenbogen, damit der Kellner ein frisches Tischtuch auflegen konnte. Es war kein Tischtuch. Es raschelte. Hurlbet! Er konnte einen wirklich in Verlegenheit bringen. Ich sah nicht auf, sondern zog nur das Blatt Papier näher heran.
[Original] [Übertragungsversuch] A mathematician named Rose
Could do calculus on her toes;
IBM hired her,
Boxed her und wired her,
And rented her out when they chose.Ein Rechengenie aus Bottrop
konnt' es blitzschnell mit dem Kopp.
IBM baut' ihn ein
in ein Gehäuse ganz klein
und verkaufte ihn als Laptop.Es war ein Limerick, und kein besonders lustiger - „verkaufte ihn als Laptop“, vielleicht eher ein bißchen zynisch. Ich murmelte „Guten Morgen, Dr. Hurlbet.“ Er setzte sich mir gegenüber.
„Guten Morgen, Fairley.“ Wie konnte er nur so fröhlich sein? Ich schaute ihn verstohlen an. Er lächelte. Ja, er erinnerte sich an unser Gespräch, und es schien ihn nicht im Geringsten zu belasten. „Vielleicht gefällt Ihnen der hier besser“, sagte er:
[Original] [meine deutsche Fassung] An ecclesiast named Bob
could do calculus in his knob.
So they wired him into
Original sin to
Rent to the Pope for a job.Ein Kosmopolit aus Byzanz
konnt' differenzier'n mit dem Schwanz.
Den verdrahtete man
mit der Erbsünde, dann
wurd' er beim Papst Ordonnanz.Ich kam zwar nicht ganz mit, aber es hörte sich so komisch an, daß ich lachen mußte. Hurlbet beäugte die Speisekarte.
„Die Tyrannei der Eier“, sagte er. Es ging schon wieder los, genau wie gestern abend. Ich wurde nicht schlau aus ihm, aber ich schluckte den Köder.
„Die Tyrannei der - was?“ Ich bin kein Spielverderber.
„Wir leben in einem freien Land, oder?“ nahm er den Faden auf. Ich beschäftigte mich mit den Dörrpflaumen und gab keine Antwort. „Man sagt, daß dieses unseres Land ein freies sei, aber jeden Morgen lassen sich Millionen braver Bürger vom Eier-Despotismus den Arm auf den Rücken drehen. Was essen Sie denn zum Frühstück?“
„Rühreier. Zwei Stück. Auf Toast“, gab ich zu. Hätte ich doch lieber die geräucherte Forelle bestellt!
„Sehen Sie?“ sagte Hurlbet. „Sie lassen sich auch tyrannisieren.“ Der Kellner brachte meine Eier und nahm Hurlbets Bestellung auf - Orangensaft, Tee und zwei weiche Eier. Er blinzelte mir zu. „Ich auch“, räumte er ein. Dieses „Ich auch“ brachte mich wieder zum Nachdenken. Gestern hatte Hurlbet mir erzählt, wie jämmerlich seine Forscher wären, Kerle, die Dienst nach Vorschrift machten. Und dann hatte er noch hinzugefügt, er wäre auch schon so. Und jetzt dieses „Ich auch“ bei den Eiern. Hatte er etwa das Handtuch schon geworfen und machte nur noch seine zynischen Witze darüber?
„Wir sollten uns beeilen“, sagte ich. Wir sind gleich da -“
„Wann haben Sie Ihren ersten Termin?“ fragte Hurlbet. Ich erklärte ihm, daß ich erst nach dem Mittagessen erwartet würde.
„Ich möchte Sie gern für einen halben Tag anheuern“, sagte er. „Was kostet das bei Ihnen?“
Ich bekomme 350 am Tag, ein halber kostet 200, und das sagte ich ihm. „Fein“, meinte er.
„Haben Sie Probleme mit Materialermüdung?“ fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
„Sie glauben, ich könne mich an gestern abend nicht mehr erinnern?“ Ich hatte etwas Schwierigkeiten mit einem Pflaumenkern, also redete er gleich weiter. „Ich habe Ihnen doch von meiner Forschungsabteilung erzählt, oder?“ Ich pulte immer noch mit der Zunge im Mund herum, und konnte nur nicken wie ein Schwachsinniger. „Habe ich Ihnen auch gesagt, wie elegant die Toiletten in dem neuen Laborgebäude sind?“ Endlich war ich des Kerns habhaft geworden und mogelte ihn auf den Tellerrand.
„Sie haben also keine Materialprobleme?“ wiederholte ich. Sollte ich ihm etwa zum Sonderpreis seine Labors inspizieren?
„Wir haben sicher irgendwo auch ein Materialproblem, aber deshalb will ich Sie nicht konsultieren. Ich möchte Ihnen einfach mal alles zeigen und hören, was Sie so meinen“, sagte er.
„Dr. Hurlbet, Sie wissen ebensogut wie ich, daß es Beraterfirmen gibt, die Ihnen dabei helfen können, die Effizienz Ihres Personals zu verbessern.“
„Dr. Fairley.“ Er machte meinen Tonfall nach, aber nicht bösartig. „Ich hatte gerade die Größten von denen im Haus. Die haben mir ein hochkarätiges 'Einsatzteam' geschickt. Da war ein Fettwanst dabei, der angeblich Physiker war, aber wie Sigmund Freud redete. Er sagte ständig Zeug wie 'Forschungsaufgaben im Licht einer psychoanalytischen Modellierung' und so was. Und dann hatten sie einen Soziologen, der wie ein Mathematiker redete. Er rechnete mir vor, wie groß die statistische Wahrscheinlichkeit ist, daß ein paar Einwanderer die Atombombe erfinden. Und einer, der sich Chemiker nannte, aber außer 'In-Group', 'Out-Group' und 'Dynamik des Innovationsprozesses' kriegte ich nichts aus ihm raus. Sie wissen doch, wie diese Experten-Teams arbeiten, Dr. Fairley?“ Nein, ich wußte es nicht. „Sie gehen überall herum und reden mit allen Leuten - mit mir, mit meinen Assistenten, mit den Gruppenleitern. Oh ja, sie sind schlau, sehr schlau, aber sie glauben jedes Wort, das ihnen meine Leute erzählen. Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Diese Typen aus dem Einsatzteam - sie reden sich übrigens gegenseitig immer nur mit 'Doktor' an - sie sind genau so bescheuert wie meine eigenen Leute. Sie sind alle Mitglieder in der Research-O-Rama-Zunft, und sie haben ein stillschweigendes Abkommen, einander niemals bloßzustellen. Nach ungefähr 6 Monaten dieses Theaters legten sie mir einen Bericht vor. 80 Seiten. In drei Teilen.“ Ich wurde etwas unruhig. Wir fuhren bereits durch die Vorstädte von Portland. Dr. Hurlbet ließ seine Eier kalt werden. „3 Teile. In Teil 1 stand, wie gut die Moral meiner Truppe ist, wie gut ausgestattet das Labor ist, wie beliebt ich bei allen bin. Tja, abgesehen vom Firmenparkplatz könnte nichts besser sein.“
„Ich muß jetzt in mein Abteil“, warf ich ein.
„Sie haben mir geraten, den Parkplatz 'Status-orientiert' zu organisieren - so drücken sich diese Herrschaften aus! Status-orientiert. Damit die höheren Chargen ihre Autos näher am Labor abstellen können und nicht so weit laufen müssen. Wenn ich das einrichten könnte, bräuchte ich mir sonst um nichts mehr Sorgen zu machen. Treffen wir uns draußen auf dem Bahnsteig?“ Ich sagte OK, prima, und rannte in mein Abteil, um zu packen.
Zum Glück hatte der Schlafwagenschaffner meine Sachen in die Reisetasche gelegt, und ich brauchte sie nur zuzumachen. Als der Zug einfuhr, gab ich dem Schaffner ein viel zu hohes Trinkgeld und stieg aus. Dr. Hurlbet stand schon draußen. Er redete dort weiter, wo er vor ein paar Minuten aufgehört hatte. Während wir den Bahnsteig entlanggingen, hängte er sich mit seinem freien Arm bei mir ein. Er machte Riesenschritte, und ich mußte ein paar mal hopsen, um mitzuhalten.
„Diese Unternehmensberater kamen mir so vor, als ob sie eigentlich für die Bundespolizei tätig wären. So etwa nach dem Motto: Wenn die mir bescheinigen, daß bei mir alles in Ordnung ist, muß ich mich erleichtert fühlen. Und ich bezahlte sie auch noch dafür! In Teil 2 des Berichts stand, daß es zu wenig Kommunikation zwischen den Forschungslabors und der Entwicklungsabteilung bzw. der Fertigungsvorbereitung gibt. 40 Seiten Wahrheit, reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich sag Ihnen mal was, Dr. Fairley. Wenn sich die Research-O-Rama-Jungs erst mal auf die innerbetriebliche Kommunikation konzentrieren, dann ist man dran! Und sie sagten mir auch, was ich tun müsse: 'Machen Sie es besser,' sagten sie mir.“ Er blinzelte in die Morgensonne. Ein Stück weiter die Straße entlang stand ein langer, niedriger Sportwagen. „Da ist Mutti“, sagte er. Paßt zu ihm, dachte ich, nennt seine Frau „Mutti“. Er ist hager und zäh, wahrscheinlich ist sie dann ein bißchen füllig. So einer wie der steht auf so was.
„Aber Teil 3 war der schönste.“ Er ging einen Schritt voraus und blieb stehen. Beinahe wäre ich in ihn hineingerannt.
„Sie schlugen vor, einen bestimmten Mann aus dem Labor zu 'entfernen', weil er nicht genügend 'Wachstumspotential' habe, weil er nicht 'wissenschaftlich gebildet' sei. Sie wollten sicherstellen, daß bestimmte 'Mindestanforderungen für technische Kompetenz' erfüllt würden. Der Mann, den sie loswerden wollten, ist der einzige in meinem Laden, der seinen Job macht und Ergebnisse liefert. Aber er ist nicht in der Zunft. Er hat keinen Doktor, deshalb gingen sie auf ihn los. Wir sind da.“ Dr. Hurlbet öffnete den Kofferraum des schicken Flitzers. Er warf seine Tasche hinein und streckte dann die Hand nach meiner aus. Er grinste mich an. Sollte ich mitkommen? Dann gab ich ihm die Tasche, und er sagte, „Gut.“
Wenn sich zwei Leute, die sich mögen, nach längerer Trennung wiedersehen, ist mir das immer ein bißchen peinlich. Dr. Hurlbet hatte seine Frau ganz schön lange nicht mehr gesehen, und ich machte noch hinten am Kofferraum herum, um ihnen Zeit für die Begrüßung zu geben. Aber er rief mich nach vorn. „Der Tasche passiert schon nichts, Dr. Fairley. Es sind nur ein paar Meilen bis zu den Labors.“
Ich schlug den Deckel zu und ging nach vorn. „Das ist Mutti. Dr. Fairley - Mutti.“ Das Auto war so niedrig, daß ich einfach meinen Arm zum Fenster hineinstreckte und auf den Händedruck wartete.
„Guten Tag, Mrs. Hurlbet.“ Ich konnte nichts im Auto erkennen und wedelte mit der Hand herum, in der Hoffnung, daß sie sie ergreifen würde, bevor ich ihr damit ins Gesicht fuhr. Sie erwischte sie. Für eine ältere Dame hatte sie einen ganz schön festen Händedruck. Ich konnte erst einen Blick auf sie erhaschen, als ich mich in den engen Rücksitz gezwängt hatte. Dr. Hurlbet setzte sich auf den Beifahrersitz neben Mutti, die am Steuer sitzen blieb. Er legte den Arm um sie und zog sie zu sich. Sie küßten sich. Mannomann! Das war kein keusches Küßchen auf die Wange. Ich fing vom Zuschauen an zu schwitzen und wand mich ein bißchen in meinem unbequemen Sitz. Dann konnte ich Mutti zum ersten mal richtig sehen. Was für ein Weib! Ungefähr 40, volle Lippen und alles andere auch... Hurlbet mußte mindestens 60 sein, aber daß es zwischen den beiden funkte, war nicht zu übersehen.
Sie legte den Gang ein, und jetzt hielten sie Händchen - nicht etwa wie im Altersheim. Ich meine, sie hielten sich an den Händen. Der alte Sack und das Superweib. Sie gefiel mir. Sie hatte ein nettes Lachen und eine nette Art. Sie trug ein protziges Diamantarmband und fuhr den tollen Wagen. Vielleicht hatte Dr. Hurlbet nur Verachtung für sein Forschungspersonal übrig, aber am Hungertuch nagte er nicht gerade. Und wenn er jemanden wie Mutti zu versorgen hatte, sollte er es sich überlegen, bevor er den Laden dicht machte und wieder selber in die Garage zum Erfinden ging. Sie unterhielten sich über die Kinder und deren Ponies, bis wir beim Labor ankamen.
Das Labor! Es lag auf dem Land. Viel Rasen. Ein Denkmal für die Wissenschaft. Auf der Wiese hatte ein Bildhauer ein 10 m hohes Gebilde zusammengesteckt - riesige Kugeln, mit Stäben verbunden. Toll! Es war ein überlebensgroßes Modell eines Moleküls. Mutti ließ uns am Eingang eines Glas-und-Aluminium-Gebäudes aussteigen. Ich schnappte mir meine Tasche und verabschiedete mich von ihr. Ein Angestellter hielt uns die Tür auf und legte für Dr. Hurlbet einen Finger grüßend an die Mütze. Wie im Hilton, nur besser. Wir gingen durch die Eingangshalle in Hurlbets Büro. Seine Sekretärin schwirrte um ihn herum, und hatte er eine gute Fahrt, und wie war's in Washington, und hat er den Präsidenten von ihr gegrüßt, hi hi. Das war übrigens kein Witz. Er besucht den Präsidenten jedes Mal. Er hängte meinen Mantel auf und sagte „Dann kommen Sie mal mit.“ Wieder hinaus, und dann dort hinein, wo „Männer“ steht. Hurlbet führte mich zu den Kabinen.
„Sehen Sie sich die Türen an“, sagte er. „Keine halben Sachen! Oben und unten zu.“ Er klopfte auf das Holz, um zu demonstrieren, wie massiv sie waren, dann ging er zu den Waschbecken. „Da. Die Handtücher. Wie im Ritz! Papierhandtücher gibt's nicht im Research-O-Rama. Sie haben gestern abend gedacht, ich übertreibe, nicht wahr? Kommen Sie, gehen wir weiter.“ Und wir verließen das luxuriöse Herrenklo.
Weiter ging es den Korridor entlang. „Ich habe ihnen gesagt, wir brauchen ein Forschungszentrum, und hier ist es - von Cartier!“ Hurlbet wedelte mit der Hand in Richtung Eingang. Alles war makellos sauber und ruhig, wie ein Krankenhaus. Im Vorbeigehen warf ich neugierige Blicke durch offenstehende Türen. Die Leute sahen schick und sauber aus in ihren Labormänteln, sehr professionell und beschäftigt, und sie sprachen im Flüsterton miteinander. Über jeder Tür stand der Name der Gruppe geschrieben: Koordination, Physik, Organische Chemie, Anorganische Chemie, Elektrotechnik, Maschinenbau - was das Herz begehrt!
„Jede Gruppe hat ihre eigenes Gehege - wie bei den Kaninchenzüchtern.“ erklärte Hurlbet. „Wir achten darauf, daß sie sich nicht miteinander vermischen - Tja, Sie wissen ja, wohin das führt. Denken Sie an den Collie. Die Nase wurde immer spitzer, der Schädel immer schmaler, bis das Gehirn schließlich bei den Ohren herauskam. Schrecklich, schrecklich. Aber was soll ich machen? Sie haben alle Frau und Kinder zu hause.“
Ein eifriger junger Mann zupfte Hurlbet am Ärmel. Er war sehr aufgeregt. „Soll ich Ihnen mal was zeigen?“ sagte er, wie ein kleiner Junge.
„Was?“ fragte Hurlbet.
„Da kommen Sie nie drauf“, sagte der junge Mann.
„Was?“ fragte Hurlbet.
„Wir haben den Gaschromatographen im Labor jetzt so eingestellt, daß wir 600 Analysen am Tag machen können.“ Die Augen des jungen Mannes strahlten.
„Sehr schön. Das ist Dr. Fairley. Dr. Letter. Er ist Leiter unserer Grundlagenabteilung.“ Ich sagte Guten Tag, und Letter redete weiter.
„Mit dem alten Gerät haben wir maximal 200 Analysen geschafft“, erzählte Letter. „Jetzt kriegen wir 600 hin. Wunderschöne Daten. Wunderschön.“
„Das ist fein.“ sagte Hurlbet. „Sagen Sie mal, meinen Sie, sie könnten 1000 Analysen am Tag machen? Das gäbe sicher eine interessante Veröffentlichung.“ Der Gedanke an so viele schöne Daten überwältigte Letter, und er ging davon, entrückt vor sich hin murmelnd.
Hurlbet drehte sich zu mir. „Apparate“, sagte er. „Diese verdammten Research-O-Rama-Apparate! Sobald sie nicht mehr weiter wissen, jammern meine Leute nach besseren und größeren Geräten und Meßinstrumenten, damit sie sich dahinter verstecken können.“ Ich lachte, weil ich glaubte, ihn endlich verstanden zu haben.
„Lachen Sie nicht“, sagte Hurlbet. „Nur so bekommen wir die großen Forschungsaufträge von der Regierung. Gewaltige Zyklotrone und wohlerzogene, kompetente Leute, die sie bedienen. Gott bewahre uns vor Kompetenz! Haben wir denn keinen einzigen Spinner im Haus? Letztes Jahr habe ich meinen Leuten einen Vortrag darüber gehalten, wie wichtig der Individualismus für die Forschung ist. Am nächsten Morgen tauchten sieben Mann in Seglerjacken auf.“ Er kniff die Augen ganz fest zu, seufzte und führte mich in sein Büro zurück.
„Wer ist Ihr Spitzenmann?“ fragte ich. „Der Beste?“
„Sie meinen, der Bekannteste?“
„Also gut, der Bekannteste.“
„Na hören Sie mal, Dr. Fairley, Sie denken doch nicht etwa, wir hätten keine großen Namen vorzuweisen?“
Mein Blick fiel auf Hurlbets Schreibtisch. Da lag kein einziges Stück Papier drauf. Der Aschenbecher prangte in seiner Mitte wie eine Seerose auf einem spiegelglatten See. Er bemerkte meinen erstaunten Blick.
„Ach, meine Sekretärin hat im !Forbes gelesen, daß Spitzenmanager - sie liebt die Vorsilben 'Spitzen-' - niemals den Eindruck erwecken sollen, sich selbst die Hände schmutzig zu machen.“ Er lehnte sich über den Schreibtisch, näher zu mir. „Große Namen. Vor ein paar Jahren haben sie mich bei einer Direktoriumssitzung - ich bin im Direktorium. Ich bin der Vorsitzende des wissenschaftlichen Direktoriums, wußten Sie das nicht?“ Ich sagte, daß ich das wüßte, und er sagte, daß ihn das sehr beruhigte, denn dann hätte er nicht 40 Jahre umsonst gearbeitet. Und welcher wissenschaftliche Direktor hätte schon einen so ordentlichen Schreibtisch? Er blinzelte mir wieder in seiner warmherzigen Art zu, und ich hätte in diesem Augenblick alles unterschrieben, was er mir hinlegte.
„Bei dieser Direktoriumssitzung“, fuhr er fort, „fragten sie mich, warum wir keine bedeutenden Wissenschaftler beschäftigten, um den Ruf des Labors ein bißchen aufzupolieren. Ein paar Stars, wie beim Film. Also habe ich die Nobelpreisträger Cole und Hart eingestellt. Und jetzt haben wir unsere eigenen Nobelpreisträger auf dem Gelände.“
Ich hatte schon von Cole und Hart gehört. So ungefähr vor 20 Jahren hatten die beiden großartige Arbeit mit Hormonen geleistet. Damals hatte ich Fotos von ihnen gesehen. Bärte. Westen. Nobelpreisträger der alten Schule! Ehrwürdig - keine jungen Hupfer mit Bürstenschnitt. Aber was hatten sie hier zu suchen?
„Sind Cole und Hart nicht ein bißchen alt?“ fragte ich.
„Sie sind schon etwas angejahrt, zugegeben“, sagte Hurlbet.
„Und sie sind doch Biologen, nicht wahr - in diesem Labor?“
„Aber sicher sind sie Biologen! Na und?“ sagte Hurlbet. „Erstens kümmert sich das Direktorium nicht um solche Details. Zweitens waren Cole und Hart schon nicht mehr ganz frisch, und ich bekam sie - wollen wir mal sagen - günstig. Aber soll ich Ihnen mal was sagen, Fairley? Die zwei alten Käuze sind eine wahre Goldgrube.“
Ich wies darauf hin, daß Cole und Hart seit 20 Jahren nichts veröffentlicht hätten, und fragte vorsichtig, ob von ihnen demnächst ein Durchbruch zu erwarten wäre.
„Nicht im Entferntesten“, sagte Hurlbet. „Aber sehen Sie mal: Dieses Labor bekommt Forschungsgelder vom Verteidigungsministerium. Sehr viel sogar. Man muß kompetent erscheinen - nicht brillant, nicht begeistert, sondern kompetent. 'Kompetenz' bedeutet, daß man Leute auf der Gehaltsliste hat, deren akademischer Hintergrund zu der Thematik paßt, die in dem Forschungsauftrag enthalten ist. Dabei ist es völlig unwichtig, ob sich diese Leute morgens überhaupt aus dem Bett wälzen. Ihre akademischen Titel müssen nur auf einer Aufzählung von Leuten erscheinen, die zu dem Einsatzteam gehören. Das Verteidigungsministerium liebt den Ausdruck 'Einsatzteam'. Er geht ihnen runter wie Öl.“
Hurlbet entschwebte mir schon wieder. Er tat das dauernd. „Aber wozu brauchen Sie dabei die Biologen?“ beharrte ich.
„Ah...“ sagte er, und legte einen Finger an den Nasenflügel, als ob er ein verkleideter Nikolaus wäre. „Da oben“ - und er verdrehte die Augen zur Decke - „da ist der Mond. Stimmt's?“
„Stimmt.“ sagte ich. Der Bursche gefiel mir immer besser.
„Stimmt“, wiederholte er. „Es wird ganz schön lange dauern, bis wir da hin kommen. Stimmt's?“
„Stimmt“, bestätigte ich. Hurlbet war Klasse, auch wenn er seine Spielchen mit mir trieb.
„Stimmt“, sagte er. „Und wir müssen alle leben, überleben, durchhalten. Stimmt's?“
Ich nickte. Er hob den Arm. „Sehen Sie: Biologie. Diese zwei alten Herren aus dem Nobel-O-Rama haben mir mehr als einmal einen fetten Auftrag verschafft. Sie sind meine Stars.“ Wie es aussah, hatte Hurlbet mit den Nobelpreisträgern in seiner Mannschaft bei den guten, lukrativen Regierungsaufträgen öfter mal eine Nasenlänge Vorsprung. Er sah mich scharf an. „Das ist was schrecklich Wichtiges, technische Kompetenz. Kommen Sie, ich stelle sie Ihnen vor. Sie sind was Besonderes.“
Dr. Hurlbet führte mich aus dem Büro und den Gang entlang. Über die Lautsprecheranlage wurden mit quäkender Stimme irgendwelche Namen aufgerufen, aber ich bemerkte, daß einige Männer kleine Kästchen in der Brusttasche ihrer blenden weißen Kittel trugen.
„Was sind das für Dinger?“ ich zeigte auf einen Burschen, der eines hatte.
„Das ist das neueste Statussymbol“, erklärte Hurlbet. „Meine Assistenten haben mir das eingeredet. Personal, das als Gruppenleiter oder höher eingestuft ist, wird nicht über Lautsprecher ausgerufen. Sie werden angepiepst. Du lieber Gott, Fairley! Ich konnte es nicht verhindern. Sagen Sie mir, wie, und ich werde diesem Unfug Einhalt gebieten, aber ich wußte mir keinen Rat.“ Er schüttelte den Kopf. Er tat mir wieder leid, so wie gestern abend. Er war einer der Größten, und dann so etwas... Er legte die Hand auf den Knopf einer Labortür mit einem Milchglasfenster.
„Da drin sind sie. Cole und Hart.“
Die Tür öffnete sich in einen großen Raum, etwa 10 x 20 Meter. Makellos. Wie ein Operationssaal. Steril. Und die Apparate. Eine Vakuumpumpe machte Fumpfumpfump. Eine grüne Flüssigkeit amüsierte sich königlich auf ihrer Reise durch lange, verschlungene Glasröhren. Es blubberte und spritzte und gurgelte mehr als in Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Da stand eine lange Reihe von Edelstahl-Tierkäfigen, die Türen offen. Auf dem Boden wimmelten weiße Mäuse herum, einige Hunde und ein paar Kaninchen.
„Kommen Sie“, sagte Hurlbet. Er watete durch die Tiere ans Ende des Raumes, wo sich eine Art Aufenthaltsraum anschloß. Ein Pfeifenständer, Bücherregale, Lehnsessel, ein offener Kamin. Da saßen zwei alte Männer; jeder hatte einen Spazierstock. Einer hatte Brotstückchen auf dem Schoß, und er fütterte die Tiere.
„Guten Morgen, meine Herren“, sagte Hurlbet.
Der mit dem Brot fuhr zusammen. Er war fett und gedrungen, aber aus seinem Bauch standen dürre, steife Beine hervor, wie bei einer betäubten Spinne.
„Dr. Cole“, sagte Hurlbet, „Ich möchte Ihnen Dr. Fairley vorstellen.“
Ich gab Dr. Cole die Hand. Er beugte sich vor, aber stand nicht auf. „Und das ist Dr. Hart.“ Der Bursche, der sich aus seinem Armsessel in die Höhe kämpfte, war bestimmt 2 Meter groß. Er stützte sich schwer auf seinen Stock, aber wie er aussah, brachte er höchstens 60 Kilo auf die Waage.
„Erfreut, Sie hier zu sehen, Dr. Fairley“, sagte Dr. Hart.
Dr. Cole drehte sich nicht einmal um. „Sam“, sagte er zu Hurlbet, „gehört der junge Mann zu uns?“ Ich dachte, er meinte, ob ich einer seiner Angestellten wäre, aber Hurlbets Antwort ließ mich erraten, daß sie eine Art Geheimsprache benutzten.
„Er ist schon in Ordnung“, sagte Hurlbet.
„Gott sei Dank!“ sagte Dr. Cole. „Mir ist heute nämlich wirklich nicht nach einer Zirkusvorstellung. Außerdem habe ich alle rausgelassen. Sie brauchen ein bißchen Auslauf.“ Er warf einem fetten Hund ein Stück Brot hin. Dr. Hart setzte sich wieder hin. Hurlbet und ich nahmen uns Stühle und setzten uns zum Kamin. Die beiden alten Herren saßen nebeneinander und schauten ins Feuer.
„Wie fanden Sie unsere Vorstellung gestern? Es fing ja ein bißchen langsam an, aber der Schluß war doch gut? Und wie fanden Sie diesen Unsinn über 'Die Mathematik des Lebens aus dem Nicht-Leben'?“ Dr. Coles Füße waren verborgen unter einem Gewirr von Tieren. Die Mäuse krabbelten übereinander und bildeten Haufen, die umfielen, wenn die Hunde daran schnüffelten. Die Kaninchen hoppelten herum, und bumsten geistesabwesend in Stuhlbeine, andere Kaninchen oder Hunde. Aber man hörte kein Gequieke oder Gebell. Nur das Geräusch vieler kleiner Füße. Plötzlich spreizte einer der Hunde die Hinterbeine und hob den Schwanz. Wie der Blitz schnappte sich Dr. Hart einen großen gläsernen Aschenbecher vom Tisch und fing die Bescherung auf. Er bewegte sich wie ein Baseball-Profi. Sein Gesicht war jedoch schmerzverzerrt, und man konnte sehen, daß ihm dieses Bravourstück nicht leicht gefallen war. Aber er war stolz wie ein Spanier. Mit einer beiläufigen Bewegung stellte er den Aschenbecher auf den Tisch zurück.
„Dr. Hart, Sie sind großartig in Form“, sagte Hurlbet, „Aber ich muß Ihnen leider etwas mitteilen.“ Er wandte sich an Dr. Cole. „Sie haben mich ein bißchen in Verlegenheit gebracht. Die Weltraumbehörde will ganz schnell ein Proposal für ein Forschungsvorhaben auf der Grundlage Ihrer 'Mathematik des Lebens aus dem Nicht-Leben' haben.“
„Sehen Sie, Cole? Ich habe Sie immer wieder gewarnt.“ Dr. Hart beugte sich hinüber und schlug mit der Spitze seines Stockes kurz und hart auf das Ende von Dr. Coles Stock. Die Tiere erschraken. Zwei Mäusehügel fielen um. Dr. Cole erwiderte den Schlag mit seinem Stock.
„Jetzt haben uns Ihre Scherze endlich in Schwierigkeiten gebracht. Sie haben Ihre Würde preisgegeben, mein werter Herr. Wir sind schließlich Nobelpreisträger!“ und Dr. Hart gab Dr. Coles Hieb zurück.
„Der Ärger mit Ihnen, Hart“, - wieder ein kurzer, harter Schlag, Stockspitze gegen Stockspitze - „ist, daß Sie keinen Sinn für das Schaugeschäft haben.“
„Es ist billig!“ sagte Dr. Hart, und er schlug kräftig nach Dr Coles Stock. „Ja, billig! Das sind wir alle beide!“ Das Gehacke war immer schneller geworden, und die Stockspitzen kratzten kämpferisch über den Boden, ohne ihn zu verlassen. Nur die Spitzen. Ich warf einen Blick zu Hurlbet hinüber, um zu sehen, wie er es aufnahm. Er lächelte mit einem Anflug von Traurigkeit, aber er wirkte entspannt.
„Was sollen wir denn Ihrer geschätzten Meinung nach lieber tun?“ fragte Dr. Cole und seufzte tief. „Sehen Sie mal, Hart. Ich bin 76 und Sie sind 69. Sie wollen mir doch nicht einreden, daß wir das Zeug für ein paar weitere Nobelpreise in uns haben?“ Die Stockspitzen standen plötzlich still. „Was macht Ihnen denn so zu schaffen? Sagen Sie es mir!“
Ohne sich umzudrehen, schwang Dr. Hart seinen Stock über die Schulter und stieß ihn in Richtung auf die blubbernde grüne Flüssigkeit in den Glasröhren. „Diese falsche Kulisse!“ sagte er.
„Finden Sie sie etwa nicht hübsch?“ fragte Dr. Cole.
„Es ist Betrug, es sind nur Blasen, und es läuft im Kreis herum. Es ist eine verfluchte Lüge.“ Dr. Hart war sehr laut geworden. „Und diese Tiere. Es sind nur gottverdammte Kuscheltiere! Nicht eines von denen hat der Wissenschaft gedient!“
„Also gut“, sagte Dr. Cole. „Wissen Sie ein nettes Altersheim für ausgediente Nobelpreisträger?“
„Ha ha ha. Sehr lustig, Dr. Cole. Sehr lustig. Von 'Form wahren' haben Sie wohl noch nie etwas gehört?“ Er knallte seine Stockspitze auf die seines Partners. Ein Volltreffer. „Oder von Würde?“
Ja, und dann ging es richtig los! Cole gab zurück, und dann legten die beiden alten Herren los, ohne sich auch nur in ihren Sesseln vorzubeugen. Zack! Zack! Zack! Hurlbet zuckte mit keiner Wimper, obwohl es sich ziemlich schlimm anhörte. Jetzt sausten die Stöcke sogar durch die Luft. Peng! Wamm! Dann gerieten die zwei langsam außer Atem. Dr. Hart hatte zwar die größere Reichweite, aber Dr. Cole kompensierte das mit größerer Geschicklichkeit. Er erwischte Harts Stock sogar ein paar mal ganz nahe bei der Hand. Aber sie berührten einander nie - der Kampf wurde nur mit den Stöcken ausgetragen. Nach einem furiosen Höhepunkt ging es langsam zu Ende. Sie keuchten. Endlich ließ Cole den Stock sinken und schloß die Augen. Er griff sich mit der Hand an die linke Brustseite. Hart hielt argwöhnisch seinen Stock in Bereitschaft. Cole hatte sich wohl schon öfter totgestellt. Aber nach einer Minute ließ auch Hart den Stock sinken. Dann saßen die beiden nur da, völlig ausgepumpt. Ohne die Augen zu öffnen, wandte Cole sein Gesicht zu Hurlbet.
„Sie sind überfüttert“, sagte Dr. Cole, und schob seinen Stock unter einen Mäuseberg. „So fett wie die sind, kann man sie als Versuchstiere nicht gebrauchen.“ Und dann warf er den Rest der Brotstückchen zwischen die Tiere. „Wann brauchen Sie wieder eine Vorstellung, Hurlbet? Sollen wir uns diesmal mit Schuhwichse die Gesichter schwarz machen? So à la 'Forschung auf dem Mississippi'. Onkel Toms Labor.“
„Oh Gott!“ stieß Dr. Hart hervor.
„Ach, Hart“, sagte Cole. „Tut mir leid.“ Er berührte Hart's Stockspitze ganz sanft mit seiner - fast wie ein Kuß. Hart rührte sich nicht. Die beiden Stöcke ruhten mit den Spitzen zusammen, eine über der anderen.
„Der Aufsichtsratsvorsitzende kommt nächste Woche hierher“, sagte Hurlbet. „Auf was fährt der denn ab?“ fragte Cole. „Mag er Gerüche?“ Hart schüttelte den Kopf. „Nicht fein genug, was? Na ja, vielleicht haben Sie Recht. Etwas Neues? Mal sehen... Kommen Sie, Hart. Was bieten wir Ihm an?“
Hart schüttelte wieder den Kopf. Dann öffnete er den Mund und schloß ihn wieder. Kein Laut war von ihm zu hören.
„Oder ein Laborbericht - Na Sie wissen schon, so ein Zeug, was sich diese jungen Regierungsberater abquetschen. Passen Sie auf: 'Die Arithmetik der animalischen Klaustrophobie.' Ich sag' Ihnen, was wir für den Aufsichtsratsvorsitzenden haben. Mann, das wird ihn umhauen. Wir stopfen die Tiere alle in ihre Käfige, aber wir decken die Käfige zu. Kein Licht. Dann machen wir die Käfige auf, und die Viecher kommen natürlich völlig verwirrt herausgepurzelt. Dann lese ich ein paar Auszüge aus der 'Arithmetik der animalischen Klaustrophobie' vor. Hat das genug Würde, Hart?“ Dr. Hart öffnete und schloß die Fäuste, immer wieder. Hurlbet stand auf und unterbrach das peinliche Schweigen.
„Meine Herren, Dr. Fairley hat leider einen wichtigen Termin in der Stadt.“ Cole stand nicht auf, als ich ihm die Hand schüttelte. Hart stand auf, aber er mußte seinen Stock zwischen den Füßen aufstützen, um hochzukommen.
„Es war mir ein Vergnügen, Dr. Fairley“, sagte Hart. „Sie müssen entschuldigen. Wir sind auch nicht mehr die Jüngsten.“ Ich sagte nichts. Ich konnte ihm nicht in die Augen schauen.
Wir gingen hinaus und den Gang weiter entlang. An einem schwarzen Brett blieb Hurlbet stehen. „He, sehen Sie mal“, sagte er. Ich schaute, und da hing eine Hausmitteilung, säuberlich an allen 4 Ecken angepinnt. Ich las:
BIS AUF WEITERES DÜRFEN KAFFEEPAUSEN NICHT LÄNGER DAUERN ALS 10 MINUTEN. DAS GILT FÜR ALLE WISSENSCHAFTLICHEN MITARBEITER. Gez.: Dr. HurlbetDr. Hurlbet nahm mich am Arm, seufzte, und wir gingen wieder in sein Büro. Ich schwieg, während er mir in den Mantel half.
„Na, was halten Sie von diesem Ukas?“ fragte Hurlbet. Ich legte mir sehr sorgfältig den Schal um. „Aber so weit sind wir gekommen. Massentierhaltung. Keinen Kaffee und keine kreativen interdisziplinären Schwätzchen mit 'Aha-Effekt' für diese Fellachen. Die können ja doch nichts damit anfangen.“ Er packte mich am Arm. „Die Russen haben es schon wieder mal geschafft.“
„Wie - was wollen Sie damit sagen?“ Ich hatte den Mantel jetzt an. Es war warm da drin, aber auf diese Bemerkung Hurlbets mußte ich einfach eingehen.
„Was ist unser größtes Unternehmen - Forschungsunternehmen, meine ich?“ fragte er.
„Die Mondlandung?“ Das war ein Schuß ins Blaue, aber ich sagte es im Insider-Tonfall, um mich nicht völlig zu blamieren.
„Genau“, sagte Hurlbet. „Das bedeutet, daß mindestens vier Jahre lang alle Universitätsabgänger in den wissenschaftlichen Fächern in das Programm gezerrt werden. So groß ist es. Wissen Sie was? Die Russen wollen gar nicht zum Mond. Während wir uns mit dem Mondprogramm völlig verausgaben, sacken sie seelenruhig noch mal drei Dutzend kleine Länder ein.“
„Und Sie sind sich da ganz sicher?“ fragte ich.
„Nein, natürlich nicht, aber es könnte doch so sein. Aber das ist ja nicht alles. Wie löst man denn bei uns ein wissenschaftliches Problem? Man setzt eine Armee darauf an. In der Hoffnung, daß Talent herauskommt, wenn man nur genügend Mittelmaß anhäuft. Mir geht's ja schon genauso. Ich streiche meinen Leuten die Kaffeepausen, weil sie zu dämlich sind, etwas Vernünftiges damit anzufangen. Ich setze auch auf Massen von Mittelmaß.“
„Und was machen Ihrer Meinung nach die Russen?“
„Sie tun so, als ob sie es genau so machten, aber ich könnte schwören, daß sie in kleinen Gruppen arbeiten, die miteinander im Wettbewerb stehen. So wie es die Erfinder in Amerika um die Jahrhundertwende taten. Ich sage Ihnen, sie halten uns zum Narren.“
„Ähm, ja, vielen Dank, daß Sie mir alles gezeigt haben. Ich glaube allerdings nicht, daß ich Ihnen eine Rechnung stellen werde.“
„Sie sehen ja, wo das alles hinführt, und ich weiß nicht, wie ich es aufhalten kann.“ Er hatte gar nicht zugehört. Er wies mit einer weit ausholenden Geste auf das Gebäude, die Toiletten und alles übrige. „Irgendwann“, sagte er, „werde ich es in Brand stecken und laufen, so schnell und so weit ich kann.“
Ich hatte mir wirklich kein Honorar verdient.
„Vielleicht bin ich auch nur entmutigt“, sagte Hurlbet. „Aber ich trage schließlich auch eine gewisse Verantwortung.“ Ich dachte an Mutti und den Sportwagen. Und dann sah ich auf die Uhr.
„Ich muß“, sagte ich.
Hurlbet ergriff meine Hand und schüttelte sie sehr lange.
„Denken Sie drüber nach. Was soll ich tun? Ich bin zu allem bereit!“ Ich nickte und ging hinaus.
Ich ging durch die Eingangshalle, bis mir ein Reinigungswägelchen den Weg versperrte. Es stand mitten im Weg. Ein Mann nahm einen Mop heraus und wischte in den Ecken. Auf dem Wägelchen stand in großen Buchstaben „Haustechnik und Wartung“, und richtig, da war er ja auch, der Haustechnikingenieur mit dem Mop.- Aus dem Amerikanischen -
Dazu gibt es noch ein bizarres Nachspiel. Als ich 2000 in einem Hotel zufällig einen Blick in die Tagungsräume warf, wo ein sündteures Unternehmensberatungs-Seminar stattfand, las ich auf dem Whiteboard in großen Filzstift-Lettern: "CAR PARK". Zuerst war ich wie vom Donner gerührt, weil ich das für Satire gehalten hatte, dann brach ich in hysterisches Gelächter aus. Truth IS stranger than fiction.Zuletzt aktualisiert: decet 21.2.2015